Bokken (1)

Bokken (木剣) ist die international übliche Bezeichnung für das japanische lange Holzschwert. Der Name vereint die Wörter Bo (木) für Stock und Ken (剣) für das Schwert (mit zweischneidiger Klinge). In Japan selbst wird dieses Holzschwert genauer Bokuto (木刀) genannt. Die Bezeichnung Bokuto setzt sich aus Boku (木) für Holz und To (刀) für Schwert (mit einschneidiger Klinge) zusammen.

Zur Geschichte des Bokken

Die Verwendung von Holzschwertern als Waffen ist älter als die Nutzung von Metallschwertern. Die beiden ältesten historischen Anthologien der japanischen Geschichte Kojiki und Nihonshoki erwähnen Bokuto als Waffen bereits um ca. 400 nach Chr. Was damals jedoch als Bokuto bezeichnet wurde, würden wir heute eher als Holzknüppel bezeichnen. Von Schwertkunst hatte man zu dieser Zeit auch noch keine Ahnung. Die japanischen Krieger beschossen sich zunächst gegenseitig mit Pfeilen, rannten danach aufeinander laut schreiend zu und schlugen schließlich mit ihren ca. 1 m langen Holzknüppeln wahllos aufeinander ein. Diese Bokuto wurden später von aus China importierten geraden zweischneidigen Metallschwertern (Jian) für lange Zeit abgelöst. In Japan nannte man diese Schwerter „Ken“ oder „Tsurugi“. Mit ihnen begann die Entwicklung der japanischen Schwerter, welche ihren Höhepunkt im Katana der Tokugawa-Epoche (1600 – 1868) fand.

Bereits die Muromachi-Epoche (1336 – 1568) wird als „Zeitalter der großen Schwertkämpfer“ beschrieben. Gegen Ende dieser Epoche war Japan in eine Vielzahl von Fürstentümern (Daimyate) zersplittert, die in häufig wechselnden Bündnissen gegeneinander Kriege führten. Es war die „Zeit der streitenden Reiche“, die sowohl die besten Schwertschmiede als auch die besten Schwertkämpfer hervorbrachte. Schmiedekunst und Kampfkunst entwickelten sich Hand in Hand. Erfahrene Samurai, die siegreich aus den vielen Kämpfen hervorgingen, zogen sich vom Schlachtfeld zurück und eröffneten Schwertkampfschulen (Ryu), in den sie ihre Kampftechniken und -strategien an die nächste Kämpfergeneration mehr oder weniger systematisch weitergaben.

Das Üben der Techniken mit scharfen Schwertern war für die noch unerfahrenen Schüler jedoch sehr gefährlich. Ein scharfes Schwert verzeiht keine Fehler. Selbst die besten Kämpfer riskierten bei den geringsten Unachtsamkeiten schlimm verletzt, wenn nicht sogar getötet zu werden. Um die Schüler auf die Realität des Kampfes möglichst verletzungsfrei vorzubereiten, mussten neue Wege im Training gefunden werden. Es entstand die Kata. Die Kämpfer lernten detailliert festgelegte Bewegungsabläufe, welche durch unablässiges Üben so weit verinnerlicht wurden, dass sie ohne nachzudenken, quasi reflexartig ausgeführt werden konnten. Dabei bestand jedoch die Gefahr, dass die teuren Schwerter bei den Übungskämpfen durch tiefe Scharten in der Klinge unbrauchbar oder zerstört wurden. Daher wurde das Metallschwert zu Übungszwecken durch eine Kopie aus Holz getauscht. Man schätzt, dass gegen Ende der Muromachi-Zeit in ganz Japan über 500 Schwertkampfschulen existierten – und alle verwendeten das Bokken als die wichtigste Übungswaffe.

Nach einiger Zeit des verstärkten Umgangs mit dem Bokken erkannten einige Kämpfer, dass das Holzschwert zwar die Gefahr der tödlichen Schnitt- und Stichverletzungen bannte, aber auch selbst eine sehr gefährliche Waffe ist. Das Bokken erlaubte alle Techniken des Katana und darüber hinaus Block- und Würgetechniken, die mit scharfer Klinge nicht möglich sind. Gefährliche Verletzungen wie Gelenkbrüche, Kehlkopfschläge und gewaltige Schädeltreffer mit Todesfolge waren offenbar keine Seltenheit. Auf diese Weise schaffte das Bokken den Sprung von einer Übungswaffe zu einer eigenständigen Waffe.

Historische Erzählungen über berühmte Schwertkämpfer berichten von Duellen, bei denen Bokken-Kämpfer über mit Katana bewaffnete Gegner triumphierten. So wird vom berühmtesten Schwertmeister des japanischen Mittelalters, Miyamoto Musashi, erzählt, dass er seinen stärksten Widersacher, Sasaki Kojiro, mit dem Holzschwert niederstreckte.

Die Meiji-Epoche (1868 – 1912) läutete das Ende des Feudalismus und damit das Ende der Kriegerkaste ein. Als Reaktion auf mehrere rebellische Samurai-Aufstände verbot die Zentralregierung 1876 mit dem Haitorei-Erlass jedem Bürger das Tragen und den Gebrauch eines Schwertes. Dieses Verbot führte letztlich zur Auflösung des Samurai-Standes. Der bekannteste dieser Aufstände war die Satsuma-Rebellion von 1877 unter der Führung des Generals Saigo Takamori (1828 – 1877). Saigos letztes Gefecht gegen die Meiji-Regierung bildete die Grundlage für den 2003 erschienenen US-amerikanischen Spielfilm „Last Samurai“ mit Tom Cruise und Ken Watanabe in den Hauptrollen.

Das Ende des Feudalismus und der Siegeszug der modernen Feuerwaffen machten die Schwerter überflüssig. Die Kriegerkaste der Samurai verschwand schließlich. Aus wohlhabenden Samurai wurden Landwirtschaft betreibende Großgrundbesitzer und Händler. Wenig begütete Samurai fanden bei Militär und Polizei Anstellungen. Andere waren gezwungen, ihr einziges Können, ihre Kampfkunst, zu Geld zu machen, in dem sie Kampfsportschulen eröffneten. Aus dem Kenjutsu entstand das Kendo (剣道). Hier brauchte man das Bokken nicht mehr. Man schlug niemanden mehr wirklich. Es reichte aus, die Treffer zu zählen. Das recht schwere und stabile Holzschwert wurde abgelöst durch das leichte und flexible Bambusschwert Shinai (竹刀). Das alte Holzschwert der Samurai überlebte nur noch in Nischen: beim Üben von Iaido (居合道) und bei wenigen Traditionalisten, die weiterhin das alte Kenjutsu praktizierten.

Das Bokken findet sich heute in vielen Budo-Disziplinen wieder. Zu diesen gehören Aikido (合気道), Jodo (杖道), Kenjutsu (剣術) und Iaido (居合道). Weiterhin wird das Bokken im Kendo (剣道) zur Ausführung von Schwert-Kata genutzt.