Aikido (2)

Die wichtigsten direkten Schüler O Senseis

O Sensei Morihei Ueshiba (1883 – 1969), der Begründer der japanischen Kampfkunst Aikido, lehrte ab etwa 1920 bis zu seinem Tod in verschiedenen Dojos in ganz Japan und auch an einigen Militärakademien. Im Laufe dieser langen Zeit bildete er eine Vielzahl von Schülern (Deshi) aus. Viele von ihnen wurden später selbst berühmte Aikido-Lehrer.

In den traditionellen japanischen Kampfkünsten unterscheidet man zwischen sogenannten äußeren Schülern (Soto-Deshi, engl. Outside-Students) und inneren Schülern (Uchi-Deshi), welche längere Zeit im Haushalt des Meisters lebten und auch durch dessen Familie versorgt wurden. Im Gegenzug hatten Uchi-Deshi viele Arbeiten im Haus zu übernehmen, z.B. Reinigungs- und Büroarbeiten. Uchi-Deshi mussten als Trainingspartner Tag und Nacht zur Verfügung stehen, den Meister auf Reisen begleiten, ihn sogar nach dem Training massieren oder das Badewasser einrichten, was zu damaligen Zeiten ein immenser Aufwand war. Auf Grund dieser sich daraus entwickelnden, engen, intensiven Beziehung erfuhren Uchi-Deshi gegenüber den Outside-Studenten eine detailliertere Unterweisung durch den Meister, sowohl in technischen Aspekten als auch in philosophischen Dingen.

Morihei Ueshibas Kampfkunst befand sich in permanenter Weiterentwicklung. In den 1920- und 1930er Jahren vermittelte er vorwiegend die Daito-Ryu-Techniken Takedas. Harte Schläge (Atemi) auf lebenswichtige Punkte spielten in dieser Zeit des Aiki-Jutsu und Aiki-Budo eine wichtige Rolle. O Sensei galt in dieser Zeit als „stärkster Mann Japans“ und war auf dem Höhepunkt seiner körperlichen Leistungsfähigkeit. Fotos aus dieser Zeit zeigen ihn mit scharfen, durchdringendem Blick, streng und entschlossen. Als er älter, erfahrener und sanfter wurde, veränderte er seine Kampfkunst zu dem hin, was wir heute als Aikido bezeichnen. Aus dem zornigen, harten Kämpfer wurde der freundlich-blickende, weise Patriarch und Philosoph, der uns heute in vielen Dojos von der Kamiza, dem „obersten Platz“ innerhalb des Übungsraumes, entgegen schaut.

Je nach Zeitpunkt, zu dem ein Schüler bei O Sensei lernte, begegnete ihm also Moriheis Kampfkunst in einer bestimmten Ausprägungsform. Im Ergebnis neigen die betreffenden Schüler später noch zu verschiedenen Aikido-Ansätzen.

Man unterscheidet vier Generationen von Uchi-Deshi:

  • Vorkriegsgeneration (1920-1930er Jahre)
  • Kriegsgeneration (1940er Jahre)
  • Nachkriegsgeneration (1950er Jahre)
  • letzte Generation (1960er Jahre)

Ab den 1950er Jahren entsandte Ueshiba einige seiner Schüler nach Europa und Amerika, um Aikido auf der ganzen Welt zu verbreiten.

André Nocquet (1914 – 1999) war der erste westliche Ushi-Deshi. Er wurde am 30. Juli 1914 in Prahecq bei Bordeaux, in Frankreich, geboren. In seiner Jugend begann er mit dem Ringen und dem damals neuen Jiu Jutsu. Er absolvierte eine Ausbildung als Sportlehrer und Physiotherapeut. 1937 begann er in Paris mit dem Judo unter Mikinosuke Kawaishi (1899 – 1969). Während der Besatzung Frankreichs durch Hitler-Deutschland kämpfte André Nocquet in der Resistance. Nach dem 2. Weltkrieg unterstützte er Meister Kawaishi beim Aufbau und der Verbreitung des Judo in Frankreich. 1951 kam Minoru Mochizuki (1907 – 2003) nach Paris, um Aikido und Judo zu unterrichten. Bei ihm begann André Nocquet seine Laufbahn als Aikidoka. Ein Jahr später kam Tadashi Abe (1926 – 1984) als Repräsentant des Aikido Honbu Dojo nach Frankreich. André Nocquet erwarb unter ihm 1954 seinen ersten Dan Aikido.

Dank eines Empfehlungsschreibens von Tadashi Abe war es möglich, dass André Nocquet zwischen Juli 1955 und Dezember 1957 bei O Sensei als Uchi-Deshi lernen durfte. Dieses Privileg für einen Nicht-Japaner war zur damaligen Zeit etwas ganz Besonderes. Nocquet lebte während dieser Zeit im Haushalt der Familie Ueshiba und nahm dort mit Anfang vierzig ein Ausbildungsprogramm auf sich, das schon zwanzig Jahre jüngere Trainingspartner wie Masamichi Noro oder Nobuyoshi Tamura an ihre Grenzen führte. Nocquet half O-Sensei auch, Aikido in europäischen Kreisen in Japan bekannt zu machen. André Nocquet durfte zahlreiche Fotos und Filme von O Senseis täglichem Leben und Training machen – zu einer Zeit, in der Filmaufnahmen noch sehr rar waren. Die dabei entstandenen Medien sind heute wertvolle historische Dokumente. O Sensei persönlich verlieh Nocquet 1967 den 5. Dan Aikido.

Die Begegnung mit O Sensei beeindruckte André Nocquet sehr stark und er entschloss sich, sein Leben der der Verbreitung der Friedensbotschaft O Senseis zu widmen. Zurück in Frankreich brachte er sehr viel Energie auf, um Aikido zu verbreiten. Meister Nocquet gründete verschiedene französische Aikido-Organisationen. Er war außerdem Leitfigur vieler Aikido-Verbände in ganz Europa und hatte u.a. maßgeblichen Einfluss auf die technische Entwicklung des Deutschen Aikido Bundes (DAB).

O Sensei mit André Nocquet, aus dem Archiv von Rolf Brand, mit Autogramm von Meister Nocquet (http://www.taichi-chuan-luebeck.de/images/Bild-006.jpg)

André Nocquet legte großen Wert auf runde Technik-Ausführungen, harte Würfe und effektive Hebel und bevorzugte in seinem Unterricht Taj-Jutsu und Tanto-Dori gegenüber traditionellen Waffentechniken. Aikido war für ihn eine kämpferische Disziplin, deren spirituelle Aspekte sich nur durch hartes, ständiges Training auf der Matte erschließen. Nocquet war Autor zweier Bücher über Aikido: „O Sensei Morihei Uyeshiba. Présence Et Message“(1975)- deutsch “ Der Weg des Aikido – Leben und Vermächtnis des Aikido-Gründers O-Sensei Morihei Uyeshiba“ (1977) sowie „Le coeur-épée : Le don de maître Uyeshiba à l’Occident“ (1991). André Nocquet starb im 12. März 1999 im Alter von 84 Jahren.

Seine französischen Schüler haben sich nach seinem Tod zur Groupe Historique Aikido André Nocquet (GHAAN) zusammengeschlossen. John Emmerson, sein englischer Meisterschüler, begründete 1997 mit Nocquets schriftlicher Erlaubnis die Stilrichtung Dynamic Aikido Nocquet (D.A.N.), welche heute in Großbritannien, in Belgien und in Deutschland vertreten ist.

Nocquet folgten als westliche Ushi-Deshi O Senseis der Amerikaner Terry Dobson (1937 – 1992), der zwischen 1960 und 1964 bei O Sensei lebte, und schließlich der Deutsche Gerd Wischnewski (geb. 1930), der zwischen 1963 und 1965 in Japan verweilte und nach seiner Rückkehr nach Deutschland als Bundestrainer am Aufbau einer Aikido-Sektion innerhalb des Deutschen Judobundes beteiligt war, aus der sich dann, viele Jahre nach seinem Rückzug aus dem Kampfsport der Deutsche Aikido Bund (DAB) entwickelte.

Stanley Pranin (1945-2017), ein Schüler Saitos und Gründer des amerikanischen AikidoJournals (usprünglich AikiNews), schuf 2001 eine Übersicht über die wichtigsten Schüler O Senseis, welche 2018 von Josh Gold, dem derzeitigen Herausgeber des AikidoJournals unter Mithilfe des Grafikdesigner Mario Sapienza, aktualisiert und graphisch aufbereitet wurde. Die Übersicht kann als PDF unter

https://aikidojournal.com/wp-content/uploads/2018/12/Osensei-disciples-chart-2018.pdf

heruntergeladen werden. Im PDF sind Hyperlinks eingefügt, über die man Informationen zu den betreffenden Personen auf der Website des Aikido Journals abrufen kann. Gerd Wischnewski fehlt auf dieser Darstellung.