Aiki-Ken-Meister

Miyamoto Musashi, der berühmte Schwertmeister des japanischen Mittelalters, der in über 60 Duellen auf Leben und Tod nicht besiegt wurde, schreibt in seinem „Buch der 5 Ringe“ (Gorin no Sho): Die Basis der Kampfkunst liegt im Katana, dem Schwert der Samurai. O Sensei betonte etwa 300 Jahre später immer wieder, dass Üben von Aikido ohne Arbeit mit dem Schwert sei nicht genug.

Aber wohin müssen wir uns wenden, um den Aikido-gerechten Umgang mit dem Schwert zu lernen? Edmund Kern schrieb:

„Feststellbar ist, dass bei vielen japanischen Sensei die Zuwendung zu den Waffen relativ spät erfolgt und zum Teil eigene Entwicklungen sind. Vielfach wurden auch aus dem Kendo und Iaido Übungen übernommen und dem Geiste des Aiki angepasst.“

Müssen wir erst Spezialisten im Kenjutsu, Kendo oder Iaido werden, um Aikido richtig zu verstehen? Welche Aikido-Großmeister (Shihane) lehren bzw. lehrten die Handhabung des Schwertes?

Bei meinen Recherchen bin ich vor allem auf folgende Meister gestoßen, die sich eingehend mit dem Aiki-Ken auseinandergesetzt haben:

  • Morihiro Saito, 9. Dan (Iwama Ryu, Takemusu-Aikido)
  • Shoji Nishio, 8. Dan (Nishio-Aikido, Aikido Toho Iai)
  • Mitsugi Saotome, 8. Dan (Ueshiba Schools of Aikido) 
  • Toshiro Suga, 7. Dan (Aikikai, Fédération Française d’Aïkido et de Budo, FFAB)
  • Christian Tissier, 8. Dan ( Cercle Tissier, Aikikai, Fédération Française d’Aïkido, d’Aïkibudo et Affinitaires, FFAAA) und seine Schüler Bruno Gonzalez, Pascal Guillemin, Marc Bachraty, Michel Erb etc.

Morihiro Saito – Iwama Ryu, Takemusu Aikido

Morihiro Saito (1928 – 2002) begann 1946 mit dem Aikido. In seinem 1. Buch der Reihe „Takemusu Aikido“ schildert er, wie er als junger Mann unter O Sensei in Iwama sein Training begann und bis zu dessen Tod im Jahre 1969 sein ständiger Schüler und Begleiter blieb. Er schrieb über diese Zeit:

„Vor dem Krieg übte und studierte der Begründer üblicherweise Waffen nur für sich selbst und unterrichtete diese Techniken nicht seinen Schülern. Es war in der Iwama-Zeit. Da fing er an, Waffen zu unterrichten. … Als ich unter O-Sensei lernte, umfasste seine Lehre alle Waffentechniken einschließlich der Kumitachi. Irgendwann war in einer Phase außer mir niemand mehr in Iwama, also trainierte ich alleine mit O-Sensei.“

Saitos größter Verdienst ist es, Ordnung in die von O Sensei (wohl recht chaotisch) gelehrten Formen gebracht zu haben. Er hat O Senseis Waffenformen aufgezeichnet, strukturiert und ein Unterrichtssystem entwickelt, was heute als Iwama-Ryu gilt. Saito sah seine Bestimmung darin, die Aikido-Formen des Begründers so weiterzugeben, wie dieser sie ihm in Iwama gelehrt hatte. O-Sensei verlieh ihm den Namen „Morihiro“, was „Bewahrer“ bedeutet, und setzte ihn als Hüter des Aiki-Schreins in Iwama ein. Saito wurde nach O Senseis Tod die Leitung des Ibaraki-Dojo in Iwama übertragen.

Das Iwama Ryu-Lehrsystem unterscheidet sich sehr stark von dem beim Dynamic Aikido Nocquet gewohnten. Die Trainingseinheiten sind immer zweigeteilt: eine Hälfte Bukiwaza mit Jo oder Ken und die zweite ohne Waffen (Tai-Jutsu). Selbst der Anfänger wird sofort mit den Übungswaffen konfrontiert. Es werden vor allem die Ken- und Jo-Suburi (Grundübungen), die 31-Jo-Kata und die Partnerübungen (Kumi-Tachi, Kumi-Jo) immer wieder geübt. Das hat zum Vorteil, dass sich die Waffen bereits nach kurzer Zeit nicht mehr fremd anfühlen und aus dem anfänglichen „Gefuchtel“ wirksame Techniken werden. Der waffenlose Teil wird bis zum 3. Dan hauptsächlich im sehr statischen Kihon (Basistechniken) geübt. Alle Bewegungen im Iwama-Ryu sind bis ins Kleinste festgelegt und nur in dieser einen Form richtig. Es ist nicht üblich, Techniken in fließenden Bewegungen durchzuführen, was den höheren Dan-Graden vorbehalten ist. Niedere Iwama-Ryu-Dane wirken daher oft sehr statisch, nahezu roboterhaft.

Es gibt eine Reihe von Lehrfilmen, die Saito bei der Ausführung der Aiki-Ken-Techniken zeigen. Einige sind inzwischen auf YouTube zu finden:

Saitos 7 Ken Suburi -Basisübungen mit dem Schwert
Saitos 5 Kumitachi: Partnerübungen Bokken versus Bokken

Shoji Nishio – Nishio-Aikido, Aikido Toho Iai

Shoji Nishio (1927 – 2005) begann als Jugendlicher mit Judo. Anfang der 1950er Jahre wandte er sich sowohl dem Karate (Shizen Ryu) als auch dem Aikido zu. Er wurde 1952 direkter Schüler von O Sensei. Zudem erlernte er ab Mitte der 1950er Jahre Iaido, die Kunst des Schwertziehens, und Jodo, den Stockkampf. Am Ende seiner Laufbahn hatte er den 8. Dan Aikido (verliehen 1976), den 8. Dan Iaido, den 7. Dan Karate und den 6. Dan Judo inne. Nishio verfügte also über eine sehr breite Kampfkunsterfahrung, aus der er seinen eigenen Aikido-Stil Nishio-Ryu entwickelte, der neben Elementen des Karate vor allem Iaido-Formen enthält. Dabei schuf er 15 Schwert-Kata, die den Zusammenhang zwischen Aikido und dem Gebrauch des Schwertes erklären. Jede Form mit Ausnahme der ersten und der letzten Form entspricht dabei einer Aikido-Technik. Diese sogenannten Toho Iai-Formen sollen als Grundlage zur individuellen Entwicklung dienen. Grundsätzlich gäbe es soviele Toho Iai-Formen wie es Aikido-Techniken gibt.

Nishio bezeichnete Aikido als eine „Vergebende Kampfkunst“. Damit meinte er, dass man während einer Aikido-Technik den Angreifer bis zu sechsmal mit Atemi treffen und verletzten könnte, dies aber bewusst nicht macht. Es sei leicht, einen Angreifer zu verletzten, wenn man mühelos dazu in der Lage ist. Es sei aber schwer, gleich mehrmals darauf zu verzichten.

Nishio nannte seinen Stil selbst „Aikido Toho Iai“, betonte aber immer wieder, dass sein Aikido kein vom ihm verändertes Aikido ist, sondern das Aikido, wie er es von O Sensei gelernt hat.

Shoji Nishio hat sein Lehrsystem in einer Reihe von Büchern und Lehrfilmen dargelegt.

Nishio: Aikido Toho Iai

Mitsugi Saotome – Ueshiba Schools of Aikido

Mitsugi Saotome (geb. 1937) startete seine Kampfkunstausbildung als Jugendlicher mit dem Judo und trat 1955 in das Aikikai Honbo Dojo Tokio ein, um unter O Sensei zu trainieren. 1958 wurde er ein Uchi-Deshi und blieb es, bis zum Tod seines Lehrers 1969. Saotome begann 1960 im Hombu Dojo mit dem Unterrichten und wurde später zum Senior-Ausbilder ernannt. Als leitender Ausbilder war er der Hauptwaffenausbilder bis 1975. Er entschied sich, in die USA zu gehen, um dort O Senseis Botschaft von Frieden und Harmonie zu verbreiten. In den USA gründete Saotome eine Organisation, die als Aikidoschulen von Ueshiba bekannt ist.

Saotome ist besonders geschickt im Gebrauch traditioneller japanischer Waffen (Jo, Bo, Bokken). Er hat auch ein System für die Arbeit mit zwei Schwertern im Aikido entwickelt. Saotome ist der Ansicht, dass das Erlernen der Waffenformen nicht nur Geschwindigkeit und Beweglichkeit, sondern auch die Harmonie mit dem Partner erhöht. Anmut und Perfektion sind für ihn dabei sehr wichtig, da ein einziger versehentlicher Schlag mit einer dieser Übungswaffen entsetzlich schmerzhaft sein kann.

Neben einigen Büchern veröffentlichte Saotome auch Videos über seine Waffenarbeit. „The Sword of Aikido“ ist auf YouTube zu finden:

Mitsugi Saotome: The Sword of Aikido

Toshiro Suga – Aikikai FFAB

Toshiro Suga (geb. 1950) ist vielleicht dem einen oder anderen bekannt aus seiner Rolle des Bösewichtes Chang im James Bond Film „Moonraker“ (1979). Er hatte damals das Vergnügen Roger Moore, den damaligen Bond-Darsteller, in einen schnell rotierenden Schwerkraftsimulator einzusperren. Im wahren Leben begann Suga 1968 mit dem Aikido im Aikikai Hombu Dojo und übte unter Kisshomaru Ueshiba, Tohei Koichi, Kisaburo Osawa, Seigo Yamaguchi, Sadateru Arikawa, Morihiro Saito, Akira Tohei und Mitsugi Saotome. In den 1970er kam er nach Paris, um an der Kunsthochschule Malerei zu studieren, und wurde Schüler von Nobuyoshi Tamura (1933 – 2010), dem damaligen Vertreter des Aikikai in Frankreich. Ende der 1980er Jahre lebte er in Kanada und trainierte Mitglieder der kanadischen Armee im Aikido und in der Handhabung des Bajonetts. Mittlerweile ist er Träger des 7. Dan seines französischen Aikido-Verbandes, dem er nach Tamuras Tod auch vorsteht, sowie des 6. Dan des Aikikai Honbo Dojos Tokio.

Von ihm gibt es zwei Lehrvideos zu Aiki-Ken und Aiki-Jo, welche derzeit nicht bei YouTube zu finden sind:
Ken, die Wurzeln des Aikido. ISBN 3-939703-40-0
Jo, die Stütze des Aikido. ISBN 3-939703-41-9

Das folgende Video zeigt ihn während einer Demonstration auf der Nuit des Arts Martiaux Traditionnels 2010, u.a. mit Techniken des ungezogenen Schwertes:

Toshiro Suga: Nuit des Arts Martiaux Traditionnels 2010

Christian Tissier – Cercle Tissier, Aikikai FFAAA

Christian Tissier (geb. 1951) begann als 11-jähriger mit dem Aikido unter Mutsuro Nakazono (1918 – 1994), der seit 1961 in Paris Aikido unterrichtete. Christian erwies sich als sehr begabt und erhielt bereits 1968 seinen 2. Dan – mit 17 Jahren. Kurz darauf brach er nach Japan auf, um im Aikido Honbo Dojo zu trainieren. Aus dem ursprünglich geplanten 6 Monaten wurden am Ende 8 Jahre. In dieser Zeit trainierte er unter einer Vielzahl berühmter Meister. Seine wichtigsten Lehrer waren Kisshomaru Ueshiba (1921 – 1999) und Seigo Yamaguchi (1942 – 1996). Yamaguchi, 9. Dan, war ein herausragender Aikido-Lehrer, der in seiner Jugend Kendo und Kenjutsu übte, und im Aikikai Honbo Dojo großen Einfluss auf eine Vielzahl anderer Aikido-Meister, u.a. Seishiro Endo, hatte. Christian Tissier studierte während seines Japanaufenthaltes Kenjutsu im Kashima-Shin-Ryu-Stil unter Meister Minoru Inaba sowie Kickboxen. 1976 kehrte er nach Paris zurück und eröffnete sein eigenes Dojo, den Cercle Tissier. Später gründete er den französischen Aikidoverbandes Fédération française d’aïkido, d’aïkibudo et affinitaires (FFAAA). 1998 verlieh ihm Kisshomaru Ueshiba persönlich den 7. Dan und als ersten Nichtjapaner den Ehrentitel Shihan. 2016 verlieh ihm Doshu Moriteru Ueshiba den 8. Dan.

Christian Tissier kann man wohl als den bekanntesten Aikidoka unserer Zeit bezeichnen. Seine Demonstrationen während der Budo-Galas in Paris Bercy machten ihn im Zeitalter des Internets weltbekannt. Sein Aikido verbindet Dynamic mit Eleganz und Effektivität. Auch er übertrug seine Erfahrungen im Kenjutsu in seinen Aikido-Unterricht und passte die Schwertformen entsprechend an.

Christian Tissier gibt sehr gut besuchte Aikido-Seminare weltweit und hat eine enorme Anhängerschaft hinter sich versammelt. Er ist zudem Autor einer Reihe von französischen Aikido-Lehrbüchern und veröffentlichte Lehrvideos für Aikido und Kenjutsu. Es gibt eine Smartphone Aiki-Ken App von Christian Tissier mit 32 Kumi-Tachi-Kata.

Christian Tissier: Martial Arts Festival in Paris Bercy 2005
Christian Tissier: World Combat Games 2013 
Christian Tissier: AikiKen Kenjutsu
Interview mit Christian Tissier 2015

Christian Tissier ist der Lehrer einer Reihe exzellenter Aikido-Meister, darunter Bruno Gonzalez, Pascal Guillemin, Marc Bachraty, Michel Erb (alle 6. Dan), die in ihren Unterricht regelmäßig Waffeneinheiten einbauen. Insbesondere bei Bruno Gonzalez kann man die enge Einheit zwischen Bukiwaza und Tai-Jutsu bei jeder Bewegung sehen.

Bruno Gonzalez: Festival des Arts Martiaux, Paris Bercy 2017
Bruno Gonzalez: Bokken class Chile 2015