Aikido (1)

„Aikido ist das hohe C unter den Selbstverteidigungskünsten. Der eleganteste Weg des Sieges. Humanität und Ästhetik, so vollendet vereint, wie in keiner anderen Kampfsportart. Selbstverteidigung par excellence. Aikido – der anmutige Rhythmus kreisender Bewegungen eines geschmeidigen Körpers.“

Ilona Rothin
(Asiatische Kampfsportarten in:
Zeitschrift Neues Leben 3/1987)

Außenstehende sind häufig von den eleganten kreis- und spiralförmigen Bewegungen fasziniert, mit denen Aikidoka auch mehrere Angreifer scheinbar spielerisch zu Boden bringen. Prinzip dieser Kampfkunst ist es, die Angriffsenergie des Gegners für sich nutzbar zu machen, indem sie entweder verstärkt auf den Angreifer zurückgeworfen oder ganz ins Leere geführt wird. Dabei ist Aikido unabhängig von Alter, Muskelkraft und Geschlecht von jedermann und -frau erlernbar. Menschen, die Aikido praktizieren, bezeichnet man als Aikidoka.

Aikido ist die sanfte Kunst der Selbstverteidigung, die Kunst, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Aikido ist der Weg der Harmonie von Körper, Geist und Herz. Auf der körperlichen Ebene besteht Aikido aus Techniken, mit denen ein Angreifer entweder geworfen oder in einem Hebel fixiert wird, aus dem er sich nur sehr schwer befreien kann.

Dem Aikido liegt eine Philosophie zugrunde, die Gewalt und Aggressivität ausschließt. Der Weg (Do) des Aiki umfasst nicht nur das Erlernen rein physischer Verteidigungstechniken, sondern ist vielmehr ein Prozess der körperlichen und geistigen Selbstentwicklung. Im Aikido gibt es weder Sieg noch Niederlage. Es wird daher auch konsequent auf Wettkämpfe verzichtet. Durch gemeinsames Üben im partnerschaftlichen Wechsel entwickelt der Aikidoka seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten kontinuierlich weiter. Aikido Meister üben ihre Kunst oft bis ins hohe Alter aus. 

Sokumen / Naname Irimi Nage

Zur Geschichte des Aikido

Aikido (合気道) ist eine moderne japanische Kampfkunst, die Anfang des 20. Jahrhunderts von Morihei Ueshiba (1883 – 1969) auf der Grundlage jahrhunderte alter Kampftechniken der Samurai entwickelt wurde.

O Sensei Morihei Ueshiba
O Sensei Morihei Ueshiba, Begründer des Aikido

Morihei Ueshiba (植芝 盛平) wurde am 14. Dezember 1883 in Tanabe geboren. Er stammte aus einer wohlhabenden Samurai-Familie, die nach dem Ende des Feudalismus ihr Auskommen als angesehene Landwirte gefunden hatte. Als Kind studierte er konfuzianische Klassiker und buddhistische Schriften. Sein Vater brachte ihm u.a. Sumo bei. Nach verschiedenen Schulabschlüssen ging Morihei als junger Mann nach Tokio, wo er einen Handel für Schreibwaren und Schulbedarf betrieb und mit dem Studium traditioneller Jujutsu- und Kenjutsu-Stile begann. Auf Grund einer Vitamin-B-Mangelerkrankung (Beriberi) musste er jedoch Tokio wieder verlassen und zur Erholung in sein Heimatdorf Tanabe zurückkehren. 1903 trat Morihei als Freiwilliger der japanischen Armee bei und nahm 1904 – 1905 am russisch-japanischem Krieg teil. Aufgrund seiner Tapferkeit und seines Muts auf dem Schlachtfeld wurde er zum Feldwebel befördert. Während seines Militärdienstes erlernte Morihei unter Meister Nakai Masakatsu das Jujutsu der Yagyu Shingan-Ryu, dessen Shoden-(Shodan)-Diplom er im Juli 1908 erhielt.

Das Yagyu Shingan-Ryu umfasst eine Vielzahl von unbewaffneten und bewaffneten Techniken, um auf dem Schlachtfeld Feinde schnell und mühelos zu eliminieren, darunter auch Kenjutsu, Bojutsu (Techniken mit dem Bo, einem ca. 1,80 m langen Stab), Naginata-Jutsu (Kampf mit einer ca. 1,50 m langen Lanze mit verschiedenen Klingen) und Iaijutsu (Techniken des Schwertziehens).

Nach der Entlassung aus der Armee (1907) kehrte Morihei Ueshiba nach Tanabe zurück, wo er auf dem Hof seiner Familie arbeitete. Sein Vater ließ eine Scheune zum Dojo umbauen und engagierte den Judo-Meister Takagi Kiyoichi, um Morihei im Judo nach Jigoro Kano unterrichten zu lassen. Das Judo von damals unterschied sich vom heutigen Wettkampf-Judo. Es bestand neben den Wurf-(Nage Waza)- und Bodentechniken (Ne Waza) noch aus Schlag-, Tritt- und Stoßtechniken (Atemi Waza). Es war sogar eine kleine Sparte Waffentechnik (z.B. mit Schwert und Stöcken) im Curriculum vorhanden.  

Im Jahre 1912 beteiligte sich Morihei an einem Regierungsprogramm zur Besiedelung des nördlichen Teils der Insel Hokkaido. Neben seiner Arbeit als Bauer setzte er sich stark für eine Verbesserung der Lebensumstände und für den Bau einer Grundschule in der Siedlung ein. Die Siedler nannten ihn den „König von Shirataki“. Während seiner Zeit auf Hokkaido lernte er den Daito-Ryu Aiki-Jujutsu Meister Sokaku Takeda (1859 – 1943) kennen, bei dem er nach intensivem Training 1921 die Kyoju-Dairi genannte höchste Lehrlizenz erhielt.

Das Daito Ryu Aiki-Jujutsu (Takeda-Ryu) ist eine etwa 800 Jahre alte japanische Kampfkunst, die bis Anfang des 20. Jahrhunderts lediglich innerhalb des Takeda-Samuraiclans weitergegeben wurde. Sie beruht auf dem Prinzip des Aiki, der „angemessenen Kraft“ im Sinne des Mitgehens mit dem Angreifer, und bedient sich Wurf-, Hebel- und Schlagtechniken, um sich gegen bewaffnete und unbewaffnete Angriffe zu verteidigen. Viele Bewegungen des Daito Ryu lassen sich aus Techniken mit dem japanischen Langschwert (Daito) ableiten.

Morihei Ueshiba führte später die Techniken des Daito-Ryu mit seinen umfangreichen Kenntnissen anderer Stilrichtungen zusammen und entwickelte daraus ein eigenes Kampfkunstsystem, welches er zunächst Aiki-Budo nannte.

Ueshiba Morihei pflegte Freundschaft zu Deguchi Onisaburo, dem Mitbegründer der japanischen Omoto-Kyo-Religion mit Hauptsitz in Ayabe. Nach dem Tod seines Vaters ließ er sich von Deguchi auf seiner spirituellen Suche leiten und zog 1920 nach Ayabe, wo ihn Deguchi beim Bau eines Dojos, der Ueshiba-Akademie, unterstützte. Zuerst unterrichtete Morihei nur die Anhänger der Omoto-Kyo-Sekte in der Selbstverteidigung. Nachdem sich aber herum gesprochen hatte, dass ein außerordentlicher Budo-Meister in Ayabe unterrichte, schrieben sich immer mehr Leute, die nicht der Sekte angehörten, in der Akademie ein. 1924 begleitete Morihei Deguchi als dessen Leibwächter auf eine sehr abenteuerliche Missionsreise in die Mongolei, welche nach vielen Gefahren in chinesischer Gefangenschaft endete. Deguchi und Morihei kommen erst ein Jahr später durch Anstrengungen der japanischen Regierung frei.

Morihei verfeinerte seine Kampfkunst bis zu seinem Tode. Die spirituelle Entwicklung trat dabei immer mehr in den Vordergrund und wirkte sich auch auf die Techniken aus, was nicht zuletzt auf diverse einschneidende Erlebnisse zurückzuführen ist. Im Frühling 1925 habe er nach einem Schwertkampf, während dessen er die Bewegungen des Gegners vorhersehen konnte, eine Erleuchtung (Satori) erfahren, über die sein Sohn Kisshomaru berichtete:

„Plötzlich hatte er das Gefühl, in goldenem Licht zu baden, das sich vom Himmel über ihn ergoss“ und ihm wurde „die Einheit des Universums mit dem eigenen Selbst klar, und er verstand der Reihe nach die anderen Prinzipien, auf denen das Aikido basiert.“

Ab 1927 hielt Morihei Kampfkunstkurse in Tokio vor hochrangigem Publikum aus dem Militär, der Politik und der Geschäftswelt ab. Seine guten Beziehungen ebneten ihm den Weg für die Gründung des Kobukan-Dojos im Wakamatsu-cho in Tokyo im Jahr 1931. Während dieser Zeit reist er viel durchs Land und unterrichtet vielerorts, unter anderem auch in Osaka. Jigiro Kano (1860 – 1938), der Begründer des Judo, sagte damals über Moriheis Aikido: „Dies ist ideales Budo – wahres Judo“. Kano schickte daraufhin zwei seiner eigenen Judo-Schüler, Jiro Takeda und Minoru Mochizuki, zu Ueshiba, um Aikido zu lernen. 1933 wird Morihei Ueshiba Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung japanischer Kampfkünste und Ueshibas Aiki-Budo wird Bestandteil der Ausbildung an der Polizeiakademie. Mit dem Ausbruch des 2. Weltkrieges gehen viele seiner Schüler an die Front. Moriheis Sohn Kisshomaru übernimmt die Verantwortung für das Kobukan-Dojo in Tokio. Das Dojo bleibt vom Krieg zwar unberührt, dient jedoch später als Unterkunft für obdachlose Familien.

Morihei selbst zieht sich während der Kriegszeit aufs Land nach Iwama zurück. In Iwama wird eine Scheune zum Dojo umgebaut und ein Aiki-Schrein gegründet. Neben seinem täglichen Training und der Weiterentwicklung seiner Kampfkunst widmete sich Morihei in Iwama vor allem der Landwirtschaft.

Um 1942 benannte Morihei seine Kampfkunst in „Aikido“ um: Die Silbe „Ai“ steht für Einssein mit dem Universum, für Harmonie und Liebe. „Ki“ bedeutet Lebensenergie oder Kraft und „Do“ ist der Weg. Aikido kann daher in etwa als „Der Weg der Harmonie im Zusammenspiel mit Energie“, „Weg zur Harmonie der Kräfte“ oder „Der Weg der Harmonie mit der Energie des Universums“ übersetzt werden. Nach seinem Abenteuer in der Mongolei entwickelte sich Morihei zu einem sehr friedfertigen Menschen. Er wurde sich des Widerspruchs zwischen dem zerstörerischen Krieg und dem wahren Bodo, dem Weg der Liebe, bewusst. Diese Haltung floss auch in die Philosophie des Aikido ein. Morihei sah die im Aikido enthaltene Harmonie und Liebe als ein Mittel, die Menschen der Welt zu vereinen.

Aikido war die erste Kampfkunst, die nach dem 2. Weltkrieg in Japan wieder praktiziert werden durfte. 1948 erhielt Morihei von der amerikanischen Besatzungsmacht und dem japanischen Erziehungsministerium die Erlaubnis eine Aiki-Stiftung zu gründen, deren Ziel die Verbreitung des Aikido zur Förderung des internationalen Friedens und der Gerechtigkeit ist. In Tokio wurde 1949 das Kobukan-Dojo wieder eröffnet und sein Sohn Kisshomaru Ueshiba gründete den internationalen Aikido-Verband Aikikai. In den folgenden Jahren gewinnt Aikido durch viele öffentlich Vorführungen in Japan an Bekanntheit. Es werden unzählige Dojos gegründet und Aikido erhält Einzug an den Universitäten.

Morihei, von seinen Schülern liebevoll O Sensei (Großer Lehrer) genannt, sandte in den frühen 1950er Jahren einige seiner fortgeschrittenen Schüler als Repräsentanten des Aikikai in westliche Länder, so dass auch hier Aikido allmählich bekannt wurde. Auf diese Weise gelangte Meister Tadashi Abe als Repräsentant des Aikido Honbu Dojo nach Marseille, Frankreich. Unter ihm begann der hochrangige französische Judoka André Nocquet Aikido als „das neue Judo“ zu studieren.

Im Jahr 1955 ging André Nocquet (inzwischen 1. Dan Aikido und 4. Dan Judo) auf Empfehlung Meister Abes nach Japan, um dort Aikido direkt an der Quelle zu studieren. André Nocquet wurde der erste nicht-japanische Hausschüler (Uchi-Deshi). Er lebte während seiner Zeit in Japan im Haushalt der Familie Ueshiba und nahm dort mit Anfang vierzig ein Ausbildungsprogramm auf sich, das schon zwanzig Jahre jüngere Männer an ihre Grenzen führte. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich widmete sich André Nocquet der Verbreitung des Aikido im Geiste Morihei Ueshibas und trug maßgeblich dazu bei, dass in Frankreich heute mehr Menschen Aikido studieren als in Japan.

André Nocquet, der erste westliche Uchidechi O Senseis

1961 besucht Morihei Ueshiba die Vereinigten Staaten. Er sprach öffentlich davon, dass er versuchen möchte, die Menschen dieser Welt durch Aikido und die darin enthaltene Liebe und Harmonie einander näher zu bringen.

1968 wird der Neubau des Aikikai Hombu-Dojo in Tokio fertig gestellt. Anlässlich der traditionellen Kagami-Biraki-Zeremonie am 15. Januar 1969 gibt O Sensei seine letzte öffentliche Forführung. Er starb am Morgen des 26. April 1969 im Alter von 86 Jahren an Krebs.

Moriheis Sohn Kisshomaru Ueshiba (1921 – 1999) übernahm nun von seinem Vater die Funktion des Doshu, des Meister des Weges im Aikikai. Als Doshu war es seine Aufgabe, das Erbe seines Vaters weltweit zu bewahren, und zugleich für eine weltweite Verbreitung des Aikido zu sorgen. Nach seinem Tod ging das Amt des Doshu an seinen Sohn Moriteru Ueshiba (geb. 1951) über. Es wird erwartet, dass sein Sohn Mitsuteru, der bereits seit 2012 das Aikikai Honbu Dojo in Tokio leitet, ihn in allen diesen Funktionen nachfolgen wird.

4 Generations of Aikido family : 1-Morihei Ueshiba Sensei(up) 2-Kisshomaru Ueshiba Sensei(left) 3-Doshu Moriteru Ueshiba Sensei(middle) 4-Mitsuteru Ueshiba Waka Sensei(right)
Quelle: https://www.pinterest.co.uk/kaffelattekolbe/%E5%90%88%E6%B0%97%E9%81%93/